#4: Die heilende Kraft des Nichtstuns
Warum es gesund ist, hin und wieder untätig zu sein.
Einfach mal nichts tun. Es klingt so banal und dennoch wunderschön. Handy auf Flugmodus schalten und beiseite legen, Computer abschalten, stressige Denkmuster ablegen und einen gemütlichen Ort suchen an dem man es sich erstmal heimelig machen, die Augen schließen kann, um sodann so richtig zu genießen, wie absolut gar nichts passiert. So heilsam diese Auszeit in unserem oftmals hektischen Alltag auch wäre, so schwer fällt sie vielen von uns auch. Einige von uns erinnern sich vielleicht an die gut gemeinte Anweisung „aufkommende Gedanken einfach weiterziehen zu lassen“ aus Entspannungsübungen oder dem Ende von Yogaeinheiten. Doch was, wenn die Gedanken nicht verschwinden, was wenn loslassen nicht so einfach ist, wie es klingt? Die gute Nachricht vorweg: auch nichts zu tun kann man lernen.
Selbst im Schlaf sind wir nicht untätig
Schon mal darüber nachgedacht, was ihr eigentlich so macht, während ihr schläft? Nun zum einen wäre da unser Gehirn, dass im Schlaf die Erlebnisse und Eindrücke des Tages verarbeitet, sie uns möglicherweise in Form von Träumen wiederaufbereitet. Zum anderen arbeitet aber auch unser Körper während wir schlafen. Ein Beispiel wäre der Aufbau der für unser Immunsystem so wichtigen „Killerzellen“, aber auch unser Verdauungssystem schiebt für uns Nachtschicht. Nichts zu tun fällt uns also selbst dann nicht leicht, wenn wir eigentlich glauben vollkommen untätig zu sein. Es mag widersprüchlich erscheinen, aber wer wirklich zur Ruhe kommen möchte, der muss dafür eine aktive Anstrengung setzen, das „Nichts-Tun“ auf die To-Do Liste setzen, sich bewusst Auszeiten nehmen.
Vor einigen Jahren wurde die US-amerikanische Künstlerin und Schriftstellerin Jenny Odell über Nacht mit ihrer inspirierenden Rede zum Thema „How to do nothing“ über Nacht berühmt, weil sie darin zeigte, wie unser schnelllebiger Alltag und die modernen Lebensgewohnheiten permanent unsere Aufmerksamkeit beanspruchen. Diese Reizüberflutung führt dazu, dass die Grenzen zwischen Arbeit, aktiver Freizeit und tatsächlichen Ruhepausen aufgeweicht werden, was langfristig zu einer Auslaugung und Erschöpfung unserer geistigen Reserven führen kann. Um dieses Szenario zu verhindern schlägt Odell in ihrem Buch „How to Do Nothing: Widerstand gegen die Aufmerksamkeitsökonomie“, vor, ganz bewusst Momente des Abstandnehmens in den Alltag zu integrieren. Ihre Methode dafür ist ganz simpel: man müsse sich nur immer wieder einmal in komplett alltäglichen Momenten die Zeit nehmen um sich selbst fragen, was einem an einer gewissen Situation oder einem gewissen Ort noch niemals zuvor aufgefallen ist. Vom Geruch der Blumen, die gerade blühen, über das Rauschen des Wassers bis hin zum Zwitschern der Vögel am morgendlichen Weg zur Arbeit, sind den Möglichkeiten der „neuen“ Wahrnehmungen keine Grenzen gesetzt. Wesentlich daran ist, dass uns die Fokussierung auf einen bestimmten für uns neuen Aspekt in einer Situation hilft, uns vom aktuellen Geschehen etwas zu distanzieren.
Die Kunst des Niksens
Während es der dänische Hygge-Lifestyle mit seinem Konzept von Gemütlichkeit und Wohlbefinden zu internationaler Bekanntheit geschafft hat, gibt es auch in den Niederlanden einen ähnlichen, sehr (ent-)spannenden Ansatz: das Niksen. Darunter verstehen die Niederländer das Ritual das Nichts Tuns, des ganz bewussten „Verschwendens“ von Zeit: zum Beispiel beim Starren aus dem Fenster, oder beim In-die-Luft-Schauen während man auf der Hausbank sitzt, beim in der Wiese Liegen und den Wolken beim Vorbeiziehen zuschauen.
Warum Niksen gut für uns ist?
Manche stellen sich an dieser Stelle womöglich die Frage, wozu das alles gut sein soll? Die Antwort darauf kennt Sandi Mann, Psychologin an der Universität of Central Lancashire in Großbritannien. Sie leitete nämlich eine Studie, bei der Teilnehmende in zwei Gruppen geteilt wurden. Beide Gruppen waren dazu angehalten eine kreative Aufgabe zu lösen. Allerdings musste eine der Gruppen zunächst eine langweilige Schreibübung durchführen, während die andere Gruppe diesen Schritt ausließ. Das Ergebnis war ebenso eindeutig wie interessant: die gelangweilte Gruppe agierte wesentlich kreativer. Erklärt wurde dies damit, dass die Langeweile dem menschlichen Gehirn ermöglicht, eigenständig nach einer anderen Stimulation zu suchen, in anderen Worten, die Gedanken schweifen zu lassen. Es scheint also, würde sich gelegentliches Tagträumen positiv auf unsere Kreativität und Inspiration auswirken.
Sehnsucht nach Langeweile
In diesem Licht, scheint Langeweile am ehesten an diesen Zustand des Nichts-Tuns heranzukommen, nach dem wir uns alle hin und wieder sehnen. Das Problem daran ist nur, dass Langeweile in unserer auf Leistung und Aufmerksamkeit gepolten Gesellschaft üblicherweise mit Faulheit und nutzloser Zeitverschwendung verknüpft wird. Insofern ist der Begriff für viele von uns negativ konnotiert. Wer die heilsamen Vorzüge des Nichts-Tuns für sich nutzen möchte, muss also in einem ersten Schritt für sich lernen, von der Stigmatisierung der Langeweile und des Nichts-Tuns loszukommen, sie vielmehr als Quelle für Neues, Positives und Energie schätzen lernen.